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AC FLORENZ – KRISE STATT FORTSCHRITT

  1. Einleitung – Fehlende Philosophie
  2. Kaderplanung – Fehlende Quantität und Qualität
  3. Transferpolitik – Transfers ohne System
  4. Spielanlage – Biraghi als Faktor X
  5. Fazit

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1. Fehlende Philosophie

Zum Jahresabschluss setzte die AC Florenz mit einem 3-0 Auswärtssieg beim italienischen Rekordmeister Juventus Turin ein großes Ausrufezeichen. Doch die kämpferische Leistung (doppelt so viele Tacklings wie der Gegner) und effektive Chancenverwertung von 60% täuschen gewaltig. Seitdem holte man nur 4 Punkte aus 5 Partien – insgesamt steht man bei nur 2 Siegen aus den letzten 13 Serie A Spielen! Tabellarisch findet man die Viola mit nur 18 Punkten auf dem 14. Platz wieder, deutlich näher an den Abstiegs-, als an den angestrebten Europa League Plätzen. Hinzu kommt das Aus im Achtelfinale der Coppa Italia gegen Inter Mailand. Deutlich zu wenig für die Ansprüche des Eigentümers und US-Medienmoguls Rocco Commisso, der die Fiorentina mit üppigen Finanzspritzen (unter anderem für Altstars wie Ribery, Callejon und Bonaventura genutzt) zurück in die nationale Spitzengruppe führen wollte. Die Liste der Probleme reicht von bürokratischen Problemen beim Stadionneubau, über Trainerdiskussionen und Chiesa Verteufelungen bis hin zu extremen Leistungsschwankungen des aktuellen Kaders. Doch über allem schwebt die mehr als undurchsichtige Kaderplanung von Sportdirektor Daniele Prade, dem die fehlende Vereinsphilosophie und Spielkultur immer deutlicher zum Verhängnis wird.

2. Fehlende Quantität und Qualität

Die Kadergröße der Fiorentina liegt trotz großer Aktivität auf dem Transfermarkt bei nur 24 Spielern – gemeinsam mit Meister Juventus verfügt man somit über das kleinste Teamgefüge der Liga! Des Weiteren überrascht die Anzahl der regelmäßig eingesetzten Spieler, diese ist mit ca. 13 Akteuren nochmals deutlich geringer. So kommen Neuverpflichtungen wie José Callejon (ablösefrei aus Neapel) oder Königstransfer Lucas Martínez Quarta (6 Mio. Euro von River Plate) sehr selten und meist erst im Laufe des Spiels zum Zug. Das toskanische Intermezzo des talentierten Rechtsverteidigers Pol Lirola, der im Sommer für 11 Mio. von der US Sassuolo unter Vertrag genommen wurde, ist sogar bereits wieder beendet – der Spanier wurde vor wenigen Tagen mit Kaufoption nach Marseille verliehen. Dies hat zur Folge, dass mit dem gerade im Zweikampfverhalten häufig überforderten Lorenzo Venuti (gewinnt nur 51% seiner Duelle) nur noch ein nomineller Rechtsverteidiger im Kader der Violetten zu finden ist.

Chiesas Fußstapfen sind zu groß für Ribery und Co.

Mit dem angesprochenen Callejon (33 Jahre) und Franck Ribéry (37), der schon 2019 verpflichtet wurde, stehen außerdem nur zwei gelernte Flügelspieler im Kader. Bei beiden fehlt aufgrund des Alters die Spritzigkeit für viele erfolgreiche 1 vs 1 Duelle – Ribery gewinnt hier gerade einmal die Hälft seiner Versuche (3,3 pro Spiel). Insbesondere der Franzose laboriert wie in seiner letzten Phase in München immer wieder an kleineren Verletzungen (v.a. am Knöchel) und verpasste in knapp über einem Jahr bereits 21 Spiele seines neuen Teams. Auch die ständig wiederkehrenden Gerüchte um einen vorzeitigen Abschied aus Italien (Familie wohnt nach einem Einbruch in die Villa wieder in München) dürften nicht förderlich für seine Leistungen sein.

Nach dem Abgang von Kapitän und Gallionsfigur Federico Chiesa fehlt es im Offensivverbund nicht nur an der nötigen Kaderbreite, sondern auch an wirklicher Qualität. Nationalspieler Chiesa verließ seinen Jugendclub im Sommer zu Branchenprimus und Erzrivale Juventus Turin, was sowohl bei Fans, als auch bei Vereinsverantwortlichen nachhaltig für Entsetzen sorgte.

Immer wieder sprechen wir von ausgeglichenen Kadern, die im besten Fall auf jeder Position gleichwertig besetzt sind, doch in unserer Kaderdarstellung der Gigliati rücken einige Positionen direkt in den Fokus. Die bereits angesprochene Position des Rechtsverteidigers wird in der Regel von Lorenzo Venuti besetzt, zeitweise wird dieser von Innenverteidiger Martin Caceres ersetzt – beide Spieler sind gerade in der Offensivbewegung quasi nicht existent und kommen zusammen auf 1 kreierte Torchance in insgesamt 14 Spielen (zum Vergleich: Biraghi alleine kreiert 0.94 Torchancen/Spiel).

Genau dieser Biraghi ist absolut gesetzt, Linksverteidiger Pendant Antonio Barreca ist keine wirkliche Alternative und kommt in der Liga auf bis dato nur 76 Minuten Spielzeit. Im Sturm ist der erst 20-jährige Dusan Vlahovic der einzige Hoffnungsträger.

Der Winterneuzugang von 2020, Christian Kouamé (11 Mio. von Genua), kommt nach einem Kreuzbandriss bisher nicht in Form und nur sehr sporadisch zum Zug. In der von Prandelli bevorzugten 3-5-2 Formation gibt daher häufig Ribéry den Part des zweiten Stürmers neben Vlahovic. Mit nominell also vier Angreifern stellt sich die Offensive quasi von selbst auf, im Mittelfeld hingegen muss mit Erick Pulgar der Durchstarter der letzten Ligasaison immer wieder mit einem Bankplatz vorliebnehmen. Neben dem Chilenen sind auch Rückkehrer Borja Valero, Valentin Eyserric und Alfred Duncan komplett außen vor.

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3. Transfers ohne System

Genau dieser Alfred Duncan ist ein gutes Beispiel für die verwirrende Transferpolitik der Fiorentina. Der Ghanaer wurde am Deadline Day im Januar 2020 im damals spektakulären Transferhattrick der Viola (gemeinsam mit Kouame und Amrabat) verpflichtet und kostete den Club im Sommer 2020 aufgrund der gezogenen Kaufoption 15 Mio. Euro. Nachdem er in der letztjährigen Rückrunde noch auf 10 Startelfeinsätze kam, beschränkte sich die Spielzeit in der laufenden Runde auf minimale 161 von 1350 möglichen Minuten. Seit Mitte Januar läuft der 27-jährige nun für die Sarden von Cagliari Calcio auf, die ihrerseits im Sommer eine Kaufoption in Höhe von 12 Mio. Euro ziehen können.

Die Situation des Spaniers Pol Lirola haben wir bereits genauer erklärt – eine eben solche Geschichte könnte auch Lucas Martinez Quarta widerfahren. Der junge Argentinier wurde als Vize-Kapitän mit einigen Vorschusslorbeeren vom Spitzenteam River Plate verpflichtet (Ablöse: 6 Mio. Euro), konnte jedoch noch nicht auf sich aufmerksam machen. Der Ball Winning Defender glänzte in Argentinien mit 70% gewonnenen Defensivzweikämpfen, 10 Balleroberungen/Spiel und einer guten Grundschnelligkeit. Er wäre mehr als prädestiniert für einer der beiden seitlichen Innenverteidigerpositionen der Dreierkette.

Ein weiterer Sommerneuzugang ist der oben erwähnte mittlerweile 36-jährige Borja Valero, der von Inter Mailand zurückkehrte und seine Erfahrung besonders an Gaetano Castrovilli weitergeben soll. Er ist neben Castrovilli, Bonaventura, Ribery und Callejon einer der vielen Spieler, die besonders offensiv Akzente setzen können, dies aber bisher zumeist vermissen lassen.

Heilsbringer Kokorin saß fast ein Jahr im Gefängnis

Aufgrund der prekären sportlichen Situation, die besonders den Angriff mit nur 18 Toren in 18 Spielen betrifft, sind im Winter weitere Nachbesserungen am Kader von Nöten.

Frisch in Florenz eingetroffen ist der russische Mittelstürmer Aleksandar Kokorin! Der ehemalige russische Nationalspieler, der im Herbst 2018 (damals noch als Zenit Profi) in eine brutale Schlägerei in Moskau verwickelt war, saß zuletzt knapp ein Jahr in Haft, bevor er nach seiner Entlassung in Sochi und später bei Spartak Moskau anheuerte. Dort konnte der 29-jährige nicht annähernd an seine frühere Form anknüpfen, weshalb die Ablöse sich gerade einmal auf knapp 5 Mio. Euro belaufen soll. Kokorins Spielstil dürfte im Doppelsturm mit Vlahovic durchaus kompatibel sein – als Mobile Striker geht er viele Wege (50 Aktionen + 3,2 Dribblings pro Partie) und kann so Platz für den serbischen Target Man schaffen.

Die mehr als fragliche Transferpolitik, die auch schon die von Prades Vorgänger Carlos Freitas an den Tag gelegt wurde, zieht sich mittlerweile seit etwa vier Jahren durch den Club. Immer wieder sind es junge Talente, wie der französische Torhüter Alban Lafont oder der gehypte brasilianische Angreifer Pedro, die aus dem In- und Ausland in die Toskana gelockt werden und teilweise ohne einen einzigen Einsatz den Verein per Leihe wieder verlassen.

Pedro kam im Sommer 2019 für 11 Mio. Euro von Fluminense nach Europa, wurde nach schwachen Trainingsleistungen umgehend in die Heimat zu Flamengo verliehen. Diese zogen vor wenigen Wochen eine Kaufoption über 14 Mio. Euro – dies beschert Prade und Co. zwar einen Transfergewinn, stellt aber auch die ungenügende Arbeit im Scouting und im Trainerteam zur Schau. Der 23-jährige Südamerikaner zerlegt im Übrigen mit 12 Treffern in 20 Ligaspielen die heimische Liga und überzeugt mit einer 31% Chancenverwertung, fast 0,9 kreierten Torchancen und 2,7 Schüssen (je pro Spiel).

Ein weiteres Beispiel ist Innenverteidiger Jacob Rasmussen, der 2018 als Perspektivspieler für 7 Mio. Euro vom FC Empoli transferiert wurde und seitdem ausnahmslos Saison für Saison verliehen wurde (unter anderem zu Erzgebirge Aue). Doch auch die Engagements von Giovanni Simeone, Riccardo Saponara oder Marco Benassi waren sehr kostspielig und haben nicht ansatzweise die Erwartungen erfüllt.

Eine klare Philosophie auf dem Transfermarkt ist also nicht zu erkennen. Man durchforstet verschiedenste Märkte auf der Suche nach spannenden Neuzugängen, vergisst hierbei jedoch oft den Faktor „harmonisches Teamgefüge“. Die beiden Innenverteidiger German Pezzella (2018 für 10 Mio. von Betis Sevilla) und Nikola Milenkovic (2017 für 5 Mio. von Partizan Belgrad) sind die einzigen Akteure, die seit mehreren Jahren dem Verein als Stammspieler angehören und somit eine Art Mannschaftskern bilden.

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4. Biraghi als Faktor X

Schwach im Angriff, verunsichert in der Defensive, Platz 14. – wie schlecht ist die Fiorentina wirklich?

18 Tore nach 18 Spielen, davon nur 8 Tore aus dem Spiel heraus. Eine Statistik des Grauens und zurecht eine der schlechtesten der gesamten Liga, vor Außenseitern wie Crotone oder Spezia. Hauptgrund hierfür ist die extrem ausrechenbare Spielanlage die Gigliati – aufgrund der bereits erwähnten offensiven Underperformance der rechten Schienenspieler agiert man extrem linkslastig. Hier läuft mit Cristiano Biraghi der Schlüsselspieler des rudimentären Spielstils auf – er schlägt mit 6 Flanken (28% Genauigkeit) fast die Hälfte der knapp 15 Flanken pro Partie (Spitzenwert der Liga). Zudem weist der Italiener, der nach einer unglücklichen Saison bei Inter wieder in violett kickt, bereits 4 Assists, 1.35 Schlüsselpässe/Spiel und 0,94 kreierten Torchancen/Spiel auf und führt damit auch all diese Datenpunkte im Teamvergleich an. Besonders spannend ist der Blick auf die expected Assists (zu erwartende Vorlagen) des 28-jährigen! Hier steht er bereits bei 8 xA, was bedeutet, dass er bei normaler bzw. durchschnittlicher Chancenverwertung seiner Mitspieler schon 8 Vorlagen gegeben hätte. Diese Verwertungsquote liegt derzeit nur bei 22%, nur 3 Teams sind schwächer. Nach expected Goals (zu erwartende Tore) liegt man hier schon bei 26 Treffern, knapp 30% mehr. Nimmt man auch die zu erwartenden Gegentore mit in die Kalkulation (5 Gegentore weniger) hätte die AC insgesamt 7 Punkte mehr eingefahren. Demnach stünde man nun statt auf Platz 14 auf Platz 7!

Besonders der hochveranlagte Kouame fällt bei der Chancenverwertung stark ab (13%). Der gesetzte Dusan Vlahovic hingegen kann die Vakanz im Sturmzentrum nach dem Abgang von Giovanni Simeone ordentlich nutzen. Er verwertet passable 27% seiner Chancen (6 Ligatore), ist zudem mit seinen 1.90 Meter Körpergröße als Target Man eine ideale Anspielstation für Biraghi. Seine Erfolgsquote im Kopfballspiel liegt dennoch bei nur 32% – etwa 2 von 7 Luftduellen kann er für sich entscheiden, ähnlich schwach sieht es im Offensivzweikampf aus.

Es ist also klar ersichtlich, dass das Flankenspiel mittelfristig keinen Erfolg bringen wird, weshalb das Zentrum deutlich an Relevanz gewinnen sollte. Derzeit ist man hier mit nur 1.61 Schüssen nach Angriffen durch die Mitte das schwächste Team der Liga. Zwar ist besonders Castrovilli mit 0.82 Schlüsselpässen und 0.59 kreierten Chancen (je pro Spiel) ein absoluter Aktivposten, doch ihm mangelt es immer wieder an Unterstützung und freien Mitspielern in der Spitze. Die Viola dringt mit Ball 42 mal pro Partie ins letzte Drittel des Gegners ein, schafft es jedoch nicht einmal 5 Torchancen aus diesen Spielzügen zu gestalten. Hier muss besonders Franck Ribery (0,87 kreierte Torchancen pro Spiel) noch mehr in den Fokus des Geschehens rücken, in dem er im besten Fall auf der Spielmacherposition und nicht als zweite Spitze startet. Neuzugang Kokorin wird dem Team durch seine Physis (zuletzt 53% gewonnene Offensivzweikämpfe) und Wege im Angriffsspiel definitiv neue Komponenten ermöglichen, ob diese auch dementsprechend genutzt werden bleibt abzuwarten.

Zum Abschluss der Spielanalyse sollte noch die Personalie Sofyan Amrabat angesprochen werden. Der Neuzugang von Hellas Verona läuft zumeist neben dem offensiv ausgerichteten Deep Lying Playmaker Castrovilli auf – agiert in seiner Rolle als Box-to-Box Midfielder auf dem kompletten Spielfeld und fehlt somit immer wieder als Absicherung. Zudem fällt er durch seine defensiven Unzulänglichkeiten, wie die maximal durchschnittliche Zweikampfquote von 52% auf. Generell weißt er auch in weiteren Defensivaktionen wie Interceptions oder Tacklings deutlich schwächere Raten als Konkurrent und Holding Midfielder Erick Pulgar auf. Der Chilene fängt pro 90 Minuten 7 Pässe ab und gewinnt 15% mehr Zweikämpfe als Amrabat, er könnte dem Team die dringend nötige Stabilität im Zentrum geben.

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5. Fazit

Die Fiorentina macht sich das Leben selbst schwer. Man ist gefangen in einem Gebilde aus hohen Ansprüchen der Fans und Investoren, einer fehlenden Vereinsstrategie und -philosophie, sowie häufigen Wechseln in entscheidenden Positionen (Trainer und Sportdirektor). Neben großer Unzufriedenheit und Unklarheit tritt man sportlich auf der Stelle, das sportliche Personal ist maximal leicht überdurchschnittlich aufgestellt.

Auch wenn man nach expected Points besser steht sieht die Zukunft der Viola nicht gerade rosig aus. Große Probleme wie die Stadionfrage und fehlende Strategien für nachhaltigen Erfolg wird man nicht in ein bis zwei Jahren aufgeholt haben – es droht vorerst also weiter das ernüchternde Mittelmaß, dass 18/19 fast im Super Gau eines Abstiegs geendet hätte.

Das liegt übrigens auch an der Verpflichtung des derzeitigen (Interims)Trainers Cesare Prandelli, der traditionell eher auf erfahrene Spieler baut und mit Sicherheit trotz vergangener Erfolge bei der Fiorentina (bereits von 2005-2010 Trainer) keine Revolution in Florenz anzettelt.

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